Glossar

Jezer Hara

Wer seinem Trieb nicht widerstehen kann, muss mit den Konsequenzen leben. Foto: Thinkstock

»Lieber ein armes und weises Kind als ein alter und närrischer König, der keine Ermahnung annehmen kann« (Kohelet 4,13). Raschi (1040–1105) erklärt, dass es sich beim weisen Kind um Jezer hatow, den guten Trieb, handelt und beim König, der sich nichts sagen lassen möchte, um Jezer hara, den schlechten Trieb.

Laut unseren Weisen wird der Mensch als Wildesel geboren (Ijob 11,12), der keinen Jezer hatow kennt, sondern nur einen Jezer hara. Erst im Bar- und Batmizwaalter, wenn das Kind die religiöse Reife erlangt, fängt es an, den Jezer hatow zu entwickeln und damit das Verständnis für seine Taten und die Kontrolle darüber. (Awot de-Rabbi Natan, Kap. 16). Deshalb wird der Jezer hatow auch als Kind bezeichnet, denn er ist 13 Jahre jünger als der Jezer hara.

MISSBRAUCH Der Jezer hara ist keine dämonische Kraft, sondern das Element, das uns zum rücksichtslosen Missbrauch unserer physischen und emotionalen Bedürfnisse antreibt – seien es übermäßiges Essen, sexuelle Maßlosigkeit, Verschwendungssucht, Unehrlichkeit, Korruption oder Ähnliches.

Die Schriften sagen, dass der Mensch ganz am Anfang der Schöpfung ohne Jezer hara geboren wurde. Obwohl er das Böse als äußere Kraft kannte – schließlich ist er ein intelligentes Wesen –, kam es ihm vorher nie in den Sinn, etwas Schlechtes zu tun. Er hatte kein Bedürfnis danach.

dualität Den Antrieb, etwas gegen die moralische Vernunft zu tun, eigneten sich Adam und Chawa erst durch das Essen der verbotenen Frucht an. Raschi erklärt uns, dass das Böse zuerst eine separate Einheit war, die sich in Form einer Schlange manifestierte und Chawa überreden konnte, die verbotene Frucht zu essen (1. Buch Mose 3, 1–7). Dadurch vereinigte sich der böse Trieb mit der unbefleckten Seele und drang so ungehindert in die Menschen ein und ermöglichte eine noch nie dagewesene Dualität (Ralbag, Mischlei 7,1). Von nun an verfügte der Mensch über die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Rabbiner Mosche Chaim Luzzatto, der Ramchal (1707–1746), erklärt uns in seinem Werk Derech HaSchem, dass der Mensch ein Wesen ist, das erschaffen wurde, um sich G’tt anzunähern. Diese Perfektion kann er allerdings nur durch seinen freien Willen und durch bewusste Entscheidungen erreichen.

Gern wird der Jezer hara von unseren Weisen symbolisch auch mit Chametz (Gesäuertem) verglichen, das vor Pessach unbedingt entfernt werden muss. Denn wie bei der Hefe im Sauerteig fängt auch der Jezer hara ganz klein an und wird dann immer, immer größer. Ist die erste Sünde einmal begangen, ist der nächste Schritt zu einem noch größeren Vergehen nicht weit, bis dann auch die letzte Hemmschwelle verschwindet.

Verlockung Der Zohar erklärt uns in einer Parabel, dass der Jezer hara von G’tt gegeben wurde, um unsere Treue zu testen: Ein König möchte die moralische Standhaftigkeit seines Sohnes prüfen und schickt ihn als Matrosen um die Welt. In den Hafenstädten besuchten viele Matrosen gern Bordelle.

Eine vom König angeheuerte wunderschöne Prostituierte macht sich an den Matrosen-Prinz heran, denn der König will wissen, ob sein Sohn der Verlockung widerstehen kann. Laut Zohar ist unsere Seele wie dieser Prinz: Zuerst sitzt sie an der Tafel des Königs, dann wird sie in einen irdischen Körper geschickt, ist allerlei Versuchungen ausgesetzt und muss selbst entscheiden, welchen Pfad sie einschlägt.

Die Gemara sagt uns, dass G’tt die Tora als Gegenmittel zum Jezer hara erschaffen hat. Der Maharal (1520–1609) stellt allerdings klar, dass das Torastudium sinnlos ist, wenn es nur als intellektuelle Beschäftigung geschieht. Wie beim Einnehmen eines Medikaments sollte man auch die Gebrauchsanweisung der Tora genau befolgen, um deren Wirksamkeit gegen den Jezer hara zu erhöhen.