Interview

»Für das Wohl des Kindes«

Hält die gesetzlichen Richtlinien für die Brit Mila für gut: Josef Schuster Foto: Tobias Barniske

Herr Schuster, der Zentralrat der Juden in Deutschland hat vor Kurzem ein Weiterbildungsseminar für Mohalim durchgeführt. Mit welchem Ziel?
Wir haben vor allem zwei Ziele verfolgt. Es geht uns um das Wohl der Kinder und das Wohl der Mohalim. Warum Wohl der Kinder? Es gibt einiges in der neuen Gesetzgebung, das, wie ich als Mediziner auch finde, zu Recht im Gesetz verankert ist. Es sind Hygienegrundsätze, Grundsätze der Instrumentensterilität und dass die Metzitzah B’peh (das Absaugen des Blutes mit dem Mund) in Deutschland nicht mehr erlaubt ist. Ich halte diese Aspekte hinsichtlich des Kindeswohls für richtig und finde es wichtig, den Mohalim verständlich zu machen, warum man sie anwenden sollte und warum Hygiene und Instrumentensterilität so wichtig sind.

Und das Wohl der Mohalim?

Auf der anderen Seite ist es uns wichtig, den Mohalim mit einem solchen Seminar sowohl die neuen juristischen Aspekte wie auch den Inhalt dieser Rechtsvorschrift unter dem Aspekt Hygiene und Sterilität verständlich nahezubringen. Denn, wenn sie sich daran halten, können sie sich auch darauf verlassen, dass sie sich auf juristisch sicherem Boden befinden.

Wer hat denn die Grundlagen formuliert?
Wir hatten jetzt bei dem Seminar den Ordinarius für öffentliches Recht der Universität Würzburg, Kyrill-A. Schwarz, zu Gast. Herr Schwarz hat sich intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt und kommentiert, welche Forderungen der Gesetzgeber jetzt erhebt. Er hat entsprechend den gesetzlichen Teil dargelegt. Den medizinischen Teil haben der Ärztliche Direktor und Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses Berlin, Hans Kristof Graf, und der am Klinikum tätige Hygieniker Martin Müller vorgetragen. Und sie erklärten, was nun diese Rechtsvorschrift in der praktischen Umsetzung alltäglich für den Mohel bedeutet.

Sie haben am Schluss des eintägigen Seminars ein Zertifikat ausgegeben. Inwieweit ist es bindend?
Das Zertifikat ist insoweit bindend, als es denjenigen, der eine Brit ausführt, daran bindet, sich an diese Rechtsnorm zu halten. Er hat darauf natürlich außerdem schwarz auf weiß stehen, dass er diese Inhalte vermittelt bekommen hat und muss sich dann natürlich daran halten. So kann sich aber auch derjenige, der einen Mohel braucht, darauf verlassen, dass es sich hier um einen Fachmann handelt, der die entsprechende Rechtsprechung in seine Arbeit einbezieht.

Was ist mit Mohalim, die aus dem Ausland angefordert werden?
Wir hatten im Vorfeld alle jüdischen Gemeinden angeschrieben und sie gebeten, uns die in ihren Gemeinden in den letzten Jahren tätigen Mohalim zu benennen, egal, ob sie aus dem In- oder Ausland kommen. Und bei dem jüngsten Seminar hatten wir auch Mohalim aus der Schweiz.

Sie haben die Gemeinden also aufgefordert, die bei ihnen tätigen Mohalim zu benennen?
Wir haben an alle Gemeinden geschrieben. Aber wie es immer ist, kamen sehr unterschiedliche Reaktionen zurück, manche antworteten auch gar nicht.

Werden Sie denn bald ein weiteres Seminar anbieten?
Das wird nicht das einzige bleiben. Und ich gehe davon aus, dass sich bei einer Wiederholung, und wenn es sich herumgesprochen hat, dass eine solche Weiterbildung auch eine gute Sicherheit für den Mohel selbst bietet, sich noch weitere Interessenten melden werden.

Wird es in Zukunft so sein, dass nur der eine Beschneidung durchführen darf, der ein solches beim Zentralrat erworbenes Zertifikat vorlegen kann?

Nein, das wäre auch juristisch nicht haltbar. Es kann sich schließlich jeder seinen Wunsch-Mohel suchen. Ich würde ihm nur raten, einen zu nehmen, der ein solches Zertifikat durch den Zentralrat erworben hat. Was der Einzelne tut, ist seine Sache. Sollte eine Beschneidung allerdings nicht nach den derzeit gültigen Rechtsvorschriften erfolgen, dann sollte sich derjenige bitte auch keine Schützenhilfe vom Zentralrat in irgendeiner Form erwarten. Dann stehen wir nicht dahinter.

Können Sie noch einmal deutlich sagen, was das Gesetz besagt?

Das Gesetz sagt, dass die Eltern vorher aufgeklärt werden müssen, was eine Brit unter halachisch-jüdischen Gesichtspunkten und aus medizinischem Blickwinkel ist. Also über die möglichen Risiken aufgeklärt werden und darüber, was zu tun ist, sollte es doch zu einer Komplikation oder Entzündung der Wunde kommen. Das heißt, dass sie dann einen Arzt aufsuchen und so weiter. Das Gesetz schreibt außerdem klar die entsprechenden medizinischen Standards vor, dazu gehören etwa sterile Geräte. Es reicht dabei nicht aus, mit dem Alkoholtupfer übers Messerchen zu streichen. Aber keiner braucht einen aufwendigen Dampfsterilisator. Heute gibt es sterile Einmalsets für circa 20 Euro.

Welche weiteren Vorschriften gibt es?
Entsprechende Hygienevorschriften sind ebenfalls einzuhalten, etwa, dass die Wunde steril zu behandeln ist. Und dass das Absaugen mit dem Mund, die Metzitzah B’peh, nicht mehr von den Rechtsvorschriften in Deutschland gedeckt ist. Das Absaugen mit einem Röhrchen ist hingegen vollkommen in Ordnung.

Das ist das, was der Gesetzgeber »nach den Regeln der ärztlichen Kunst« nennt?
Das sind eben die Sterilität und die Hygienevorschriften. Es schreibt keiner die Schnittführung vor. Ob sie so ist, wie sie üblicherweise beim Urologen erfolgt, oder so, wie sie seit Jahrhunderten durchgeführt wird. Wobei ein Mohel sehr viel mehr Erfahrung hat als ein Urologe.

Doch das gilt nur bis zum Alter von sechs Monaten ...
Das hat der Gesetzgeber ebenfalls deutlich formuliert, dass jenseits der sechs Monate eine Beschneidung durch einen Mohel »alleine« nicht statthaft ist. »Alleine« ist hier das entscheidende Wort. Das heißt, wenn ein Arzt dabei ist, dann ist es etwas anderes. Dieser müsste dann in der Frage der Schmerzfreiheit und Schmerzbekämpfung entscheiden. Wir verfolgen immer das Ziel, möglichst wenig Schmerzen zu verursachen. Für einen Säugling, da ist man sich einig, ist die Emla-Salbe derzeit halachisch und medizinisch der einzig gangbare Weg. Für ein sechs Monate altes Kind reicht sie wohl nicht mehr aus.

Was bewirkt die »Emla-Salbe«?
Sie enthält die Wirkstoffkombination Lidocain und Prilocain. Sie bewirkt nach Applikation auf die Haut eine Oberflächenanästhesie, sodass Eingriffe an der Hautoberfläche durchgeführt werden können. Dabei wird das Schmerzempfinden des Gewebes herabgesetzt.

Die Schmerzbekämpfung ist ja gerade in Hinsicht auf die Beschneidungsgegner ein ganz wichtiges Stichwort.
Ja, vor allem dann, wenn man halachisch die Beschneidung am achten Tag vornimmt, und ich rede jetzt gar nicht davon, ob es nun exakt der achte Tag ist, sondern es kann ja aus gesundheitlichen Gründen auch 14 Tage oder drei Wochen später sein. Etwa wenn eine Neugeborenen-Gelbsucht die sofortige Brit verhindert. In diesem Zeitraum bis zu drei Wochen gibt es keine andere Möglichkeit einer sinnvollen Schmerzbekämpfung als die Emla-Creme. Eine Lokalanästhesie wäre garantiert schmerzhafter als die gesamte Brit. Und eine Vollnarkose ohne Not birgt bei einem Kind unter zwei Jahren wesentlich mehr Risiken als sämtliche bei der Beschneidung zusammen.

Die Gemeinden sollten also daran interessiert sein, dass ihre Mohalim ein solches Zertifikat vorweisen können.
Wir informieren auch auf unserer Homepage darüber. Vielleicht spricht es ja jemanden an, der es bislang noch gar nicht mitbekommen hat. Möglicherweise hatten wir ihn gar nicht auf dem Schirm, oder er wurde uns nicht benannt. Wir möchten gern darauf hinweisen, dass es ein weiteres Seminar geben wird und dass man sich deswegen an den Zentralrat wenden kann. Es gibt den Mohalim Rechtssicherheit.

Sind Sie als Mediziner mit dieser Lösung zufrieden?

Ich bin Internist und weder Urologe noch Kinderarzt, das muss ich natürlich betonen. Ich halte aber die Gesetzgebung für gut. Zum einen sichert sie unproblematisch die Ausübung des Judentums entsprechend der Religionsvorschrift. Zum anderen enthält sie Punkte, die vielleicht manchem Juden und auch Mohalim in der Form nicht so klar waren und die eine Optimierung der Brit im Sinne des Kindeswohls ermöglichen.

Mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und Kultusdezernenten im Präsidium sprach Heide Sobotka.

INFORMATION

Das Kölner Landgericht urteilte im Mai 2012, dass eine Beschneidung von Jungen ohne medizinische Notwendigkeit rechtswidrig sei und provozierte damit eine monatelange, erbittert geführte Diskussion. Auch auf Betreiben von Bundeskanzlerin Angela Merkel entschloss sich der Bundestag schnell zu einer gesetzlichen Lösung. Der Paragraf 1631d zur »Beschneidung des männlichen Kindes« ist im Bürgerlichen Gesetzbuch in Buch 4, Familienrecht, Abschnitt 2 – Verwandtschaft, Titel 5 – Elterliche Sorge, verankert. Er erlaubt, »in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll«.

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