Sprachgeschichte(n)

Ganz schön mies

Passt auch auf Viecher: eine miese Töle Foto: Thinkstock

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb jüngst zur spanischen Wirtschaftskrise: »Valencia ist pleite: Dauermiese.« Wer jetzt glaubt, das Wort gehe auf das lateinische »Miseria« für Elend zurück, irrt. In dem Begriff steckt das jiddische »mies«, das seinerseits dem aramäischem »me’iss« (widerlich) und dem biblisch-hebräischem »ma’ass« (verachten) beziehungsweise »miuss« (Ekel) entstammt. Gängige Vokabeln wie »Miesmacher«, »Miesepeter« und »Miesling« sind Übertragungen des jiddischen »Miesnik« mit slawisch geprägtem Suffix.

beleidigung »Mies« findet man auch in regionalen Sondersprachen. Klaus Siewerts Wörterbuch der Münsterschen »Masematte« (Von achilen bis Zulemann 2009) nennt »miswettermalocherrente« für Schlechtwettergeld, »mies ausse kowe reunen« (dumm aus der Wäsche gucken), »ne miese lobbe ziehen« (ein langes Gesicht machen), »dat is ‹n ganz miesen seeger!« (das ist ein schlechter Mensch!) und »der hacho kneisterte mies« (der Bauer schaute bös drein). Im Hamburger Hafen war »ne miese« schlicht wenig, im Rotlichtviertel steht »miese« noch heute für »in der Schuld« beim Kartenspiel und auf dem Konto.

In der deutsch-jüdischen Literatur war »mies« gängige sprachliche Münze. Etwa in Salomon H. Mosenthals Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben (1878): »Nehmt Euch die Bule ins Haus; alt genug und mies genug seid ihr alle Zwei.« In Rudolf Picks Nelkenburg von 1905, einer Satire über Parvenüs der vorigen Jahrhundertwende, liest man: »Ich hab schon vorher gewusst, die Mad (= Maid) is mies.« In den USA, schreibt Leo Rosten in seinem Kompendium Jiddisch von 2001, »scheint die ästhetische Bedeutung besonders wichtig«. Ein Satz wie »She’s a mieskayt« für eine unansehnliche Frau »ist sehr kränkend und wird fast nur in übler Nachrede gebraucht.« Jan Meyerowitz zitiert in Der echte jüdische Witz (1971) einen der »faulen Wortwitze«, über die in den 20er-Jahren deutsche Juden Tränen lachten: »Bilde mir einen Satz mit Buenos Aires, Sarasate und Mississippi!« »?« »Bu, e Nos eire Sarah hatse, und mies is se, pi!« Werner Weinberg schreibt in Die Reste des Jüdischdeutschen 1969: »Man hörte sogar miese Maschine als Beschreibung einer dicken oder hässlichen Frau.«

krank Diese »Maschine« ist nicht dem lteinischen »machina« entlehnt, sondern geht auf das jiddische »misso meschunno« (jäher Tod) zurück. »Miesemeschinne« kann auch wie »miese mase« für »schlechte Sache« stehen, wie in Oskar Panizzas Erzählung Der Goldregen (1893): »Gott, wie Se redde! Schaue Se doch de Misemaschin an!« Mit Flüchen wie »Du sollst die miese meschinne kriegen!« oder »Miesemeschinne auf deinen rosch!« wünschte man seinen Feinden hässliche Krankheiten an den Hals, die Itzig Feitel Stern in seinem Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangssprache (1833) sogar benannte: Schwermut oder Epilepsie.

Die »Miesemeschinne« kann man aber nicht nur bekommen, sondern sich auch nehmen. Werner Weinberg erläutert diese Wendung mit einer Anekdote. Ein Jude bietet einem Antisemiten eine Prise Schnupftabak mit den Worten an »Nimm dir eine«. Die Anwesenden wissen, dass man sich das »Miesemeschinne« dazu denken muss. »Er hat sich ne miese meschinne genommen« bedeutet: Er ist verreckt.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024