Sachsen

Vergleichen, nicht gleichsetzen

Stacheldraht ist nicht gleich Stacheldraht: Die Schoa bleibt in ihrer Dimension einzigartig. Foto: ddp

Seit Jahren streiten verschiedene Opferverbände in der Stiftung sächsische Gedenkstätten heftig miteinander. Einer der Hauptgründe für die unüberbrückbaren Differenzen war der Versuch einer Gleichsetzung von Opfern des Holocaust mit denen der kommunistischen Gewaltherrschaft.

Das führte zum Auszug von zahlreichen Opferverbänden, unter anderem des Zentralrats der Juden, aus der Stiftung. Mittlerweile ist dieser wieder zurückgekehrt. Mit Ausnahme der NPD haben die im sächsischen Landesparlament vertretenen Parteien CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen daraufhin in diesem Frühjahr eine Reform des sächsischen Gedenkstättengesetzes angeschoben. Es soll nach der Sommerpause parlamentarisch beraten und verabschiedet werden.

Selbst die Linksfraktion lehnt das Gesetzeswerk nicht strikt ab. »Wir haben da noch einzelne Änderungsvorschläge, die wir in die Diskussion mit einbringen wollen«, sagt ihr Sprecher Marcel Braumann lediglich.

Für den CDU-Abgeordneten Günther Schneider ist das Ziel der Reform des sächsischen Gedenkstättengesetzes klar. Es soll einen Rahmen für eine angemessene, würdevolle Arbeit an diesen Gedenkorten geben. Wie sie konkret aussehen soll, sei Sache der Stiftung selbst. »Wir geben den Opferverbänden einen Rahmen, der von ihnen akzeptiert wird und dann von ihnen auszufüllen ist«, stellte Schneider klar. Der Geschäftsführer der Gedenkstätten-Stiftung, Siegfried Reiprich, spricht gar von einem Durchbruch. »Das hat zur Zufriedenheit beigetragen.« Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach von »einer Hängepartie, die wir in den letzten Jahren erlebten, von einem faktischen Stillstand«.

Entwurf Wesentlich verhaltener fällt daher auch seine Reaktion aus. »Wir haben hier eine Kröte zu schlucken, aber wir schlucken sie«, sagte der Generalsekretär bei einer Anhörung zum neuen Gesetz im Dresdner Landtag. Das vorliegende Papier sei eben nur ein Entwurf. Das bedeute auch, dass die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Verbände nicht in Gänze umgesetzt werden konnten.

Und Kramer erinnerte noch einmal an den Grund, weshalb sowohl der Zentralrat der Juden wie auch der der Sinti und Roma und andere Opferverbände die Mitarbeit in der Stiftung aufkündigt hatten. Es ging um die Versuche der Gleichsetzung, und dieses Problem sei bis heute nicht wirklich ausgestanden.

»Es geht hier überhaupt nicht darum, den Holocaust oder die Schoa sozusagen über alles zu stellen und dabei die Opfer anderer totalitärer Regime oder Genozide in irgendeiner Form zu bagatellisieren oder zu trivialisieren«, bringt es Kramer auf den Punkt, »sondern, es geht in der Tat darum, Dinge auseinanderzuhalten, die nichts miteinander zu tun haben.« Vergleichen sei erlaubt, aber kein Gleichsetzen. Die tatsächliche Arbeit in der Gedenkstätten-Stiftung werde zeigen, wohin die Reise gehe. Er sei trotz vieler Tiefschläge und trotz mancher Anzeichen sehr optimistisch, versicherte der Generalsekretär während der Anhörung.

Kramer fragte: »Wie wollen wir in Zukunft erinnern und gedenken?« Wie das geschehen könne, sei noch nicht ausgemacht. »Wir müssen hier neue Formen finden, insbesondere, wie wir junge Menschen, ohne mit dem Schuldzeigefinger auf sie zu zeigen, mit der Ermunterung zur Verantwortung dazu bewegen, sich zu engagieren«, forderte der Generalsekretär. Das gelte für alle Bereiche von Genoziden, von Diktaturen und von Menschenrechtsverletzungen. »Ich glaube, dass uns das gelingen wird, denn das ist eine Herausforderung, vor der wir alle stehen, egal, um welche Zeit wir uns noch einmal explizit in unserer Organisation kümmern«, stellte Kramer fest.

Voraussetzungen Die Initiatoren der Gesetzesnovelle haben sich wahrlich bemüht, den Ansprüchen der Opferverbände in der Gedenkstätten-Stiftung zu entsprechen und unterschiedliche Interessen auszugleichen. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört laut Reiprich die Einrichtung von vier neuen Gedenkstätten im Freistaat, die an Opfer des NS-Terrorregimes oder der DDR-Diktatur erinnern.

Die geplante Novelle des Gedenkstättengesetzes schaffe für ein solches Vorhaben die rechtlichen Voraussetzungen, weil in dem neuen Gesetzestext die Anzahl der institutionell förderbaren Gedenkstätten erweitert werde, sagte der Stiftungs-Geschäftsführer. Nach seinen Angaben liegt eine der geplanten Stätten in der Gemeinde Großschweidnitz bei Löbau, wo während der Nazizeit rund 5.000 Menschen, darunter viele Kinder, durch »Euthanasie« in einer früheren Heil- und Pflegeanstalt ermordet wurden. Auf dem zur Gemeinde gehörenden Friedhof erinnern heute Gedenktafel und -stein an die Opfer.

Ein zweiter Ort könnte laut Reiprich das frühere Konzentrationslager Sachsenburg bei Frankenberg sein. Aus DDR-Zeiten gebe es dort eine kleine Gedenkstätte auf dem Gelände einer Papierfabrik. Grundstock einer Gedenkstätte könnten die noch im Original vorhandenen Gefängniszellen sein. »Das Konzentrationslager ist einer der frühen Repressionsorte und diente dazu, die NS-Diktatur zu installieren«, betonte Reiprich. Es sei auch um Rache der Nazis an politischen Gegnern gegangen. Das KZ Sachsenburg habe für die Stiftung hohe Priorität, versicherte er.

Hoheneck Als dritten Ort für eine neue Gedenkstätte nannte der Geschäftsführer Stollberg im Erzgebirge, wo sich zu DDR-Zeiten das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck befand. Die Frauen in Hoheneck kämpften schon seit 20 Jahren für eine solche Gedenkstätte. Die Stiftung arbeite nicht direkt vor Ort, sondern brauche dort meist Ansprechpartner wie Fördervereine, um Gedenkstätten aufzubauen. Außerdem sei die Beteiligung der Kommunen neben dem Geld vom Freistaat unerlässlich, um die Vorhaben umzusetzen.

Ähnliches gelte auch für die Hinrichtungsstätte in Leipzig als viertem im Gesetzentwurf erwähnten Projekt. Als mögliche weitere Gedenkstätte nannte Reiprich Chemnitz-Kassberg, wo neben den von der Stasi im Zuge des Häftlingsfreikaufs in den Westen entlassene Häftlinge auch der politischen Opfer des früheren NS-Gefängnisses gedacht werden soll.

Der CDU-Abgeordnete Schneider betonte, dass die im Gesetz genannten vier neuen Gedenkstätten kein »closed shop« seien. Es könnten noch weitere Gedenkstätten institutionell gefördert werden. Entscheidend sei, dass jede Gedenkstätte, die eine solche Unterstützung erhalten will, ein inhaltlich und wirtschaftlich tragfähiges Konzept vorlege.

Neben den neuen Gedenkstätten werde im Zuge der Gesetzesreform der Status von zwei bereits bestehenden verbessert, sagte Reiprich. Zum einen handele es sich um das ehemalige Zwangsarbeitslager in Leipzig, wo während der Nazizeit sehr viele Arbeiter aus Mitteleuropa ausgebeutet worden seien, und um den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, betonte der Geschäftsführer. In diesem Erziehungsheim wurden zu DDR-Zeiten Tausende von Jugendlichen eingesperrt und misshandelt.

Derzeit betreut die Stiftung Sächsische Gedenkstätten bereits unmittelbar fünf Gedenkstätten in Ehrenhain Zeithain, am Münchner Platz in Dresden, in Bautzen und in Pirna-Sonnenstein und das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau. Dort war während des Zweiten Weltkrieges die Zentrale der NS-Militärjustiz mit den beiden Militärgefängnissen »Fort Zinna« und »Brückenkopf« und dem Reichskriegsgericht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richtete die sowjetische Geheimpolizei NKWD im Fort Zinna und in der benachbarten Seydlitz-Kaserne die Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein.

Außerdem werden die Gedenkstätte Bautzener Straße in Dresden (Stasi-Haftanstalt), das Museum in der Runden Ecke und das Archiv der Bürgerbewegung in Leipzig sowie das Martin-Luther-King-Zentrum Werdau und die Umweltbibliothek Großhennersdorf unterstützt.

Opferrepräsentanz Das neue Gedenkstättengesetz schreibt darüber hinaus fest, dass die NS-Opferverbände künftig drei Vertreter in den Stiftungsrat der Gedenkstätten-Stiftung entsenden können, bisher waren es zwei. Das Gleiche gilt für die Verbände von Opfern der kommunistischer Gewaltherrschaft. Die Wahl ist jeweils geheim. Die Opferrepräsentanz werde verstärkt, betonte der Geschäftsführer. Zudem sei sichergestellt, dass jedes Mitglied im Stiftungsrat und den Beiräten auf eine frühere Stasi-Mitarbeit überprüft wird.

Dem neuen Gesetz wird zudem erstmals eine Präambel vorangestellt, die für begriffliche Klarheit sorgen soll. Schneider vergleicht sie mit der sächsischen Verfassung, in deren Vorwort ebenfalls festgeschrieben steht, jeder Willkür und Terrorherrschaft gedenken zu wollen. Darin werde ausdrücklich auf das kommunistische, aber natürlich auch auf das singuläre nationalsozialistische Unrecht eingegangen.

Ein ähnlicher Tenor sei jetzt in der Einleitung zum neuen Gedenkstättengesetz wiederzufinden. Es gehe nicht um unterschiedliche Wertigkeiten, sagte der CDU-Abgeordnete. Der entscheidende Satz lautet: »Opfer ist Opfer, Opfer bleibt Opfer, das lässt sich weder aufrechnen noch in Relation setzen.«

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